Bitte, introvertiert sollten Sie eher nicht sein, wenn Sie die Street Glide so bestellen, wie Sie sie auf dem Photo sehen, aber wer eine Harley bestellt hat ohnehin selten mit mangelndem Selbstdarstellungsdrang zu kämpfen. Aber in diesem wunderbar leuchtenden Yellow-Pearl Farbton zieht die klassisch elegant gezeichnete Glide die Blicke noch mehr auf sich, als es die schweren Eisen aus Milwaukee sowieso immer tun. Ihre langgestreckte, nach hinten flach abfallende Silhouette und die ausladende Lenkerverkleidung mit der niedrigen Scheibe verleihen ihr eine subtile Eleganz, welche von der ins Auge springenden Farbgebung sowohl konterkariert wie auch unterstrichen wird. Die im neuen Showroom in Strasshof stehende in staatstragendem Schwarz gehaltene Schwester wirkt dagegen nachhin unauffällig, erst die Comic-hafte Lackierung bringt diese Skulptur so richtig zur Geltung, genau so muss eine Harley meiner bescheidenen Meinung nach aussehen.
Mit dem typischen metallischen Kratzen und polterndem Böllern nimmt der 103 Kubikinch Twin die Arbeit auf, sobald man den richtigen Knopf an der Lenkerarmatur gedrückt hat. Den zu finden ist noch relativ leicht, bei manch anderen Manipulationswünschen tut sich der gewöhnliche Motorradfahrer erst mal schwer, Blinken tut man wie bei der Bayrischen selig, rechts rechts und links links, manchmal hupt man stattdessen, der zuständige Taster liegt direkt über jenem der Fahrtrichtungsanzeige. Die unorthodoxe Anordnung gehört zur Harleyfolklore, recht so, hat man sie erst mal bei sich aufgenommen geht das sowieso ganz unproblematisch von der Hand, am ersten Tag wundert sich halt so mancher Verkehrsteilnehmer über diesen seltsamen Herren auf dem dotterfarbenen Dampfer. Umgekehrt ist es schon unangenehmer, Blinken statt Hupen nutzt nämlich gar nichts, wenn wieder mal ein Autofahrer mit dem Handy am Ohr erratisch die Spur wechselt. In dieser Situation nutzt man das Nebelhorn der Harley gerne, Hakenschlagen ist nicht ihr ureigenstes Revier, das dicke Ding will laufen, souverän durch den Verkehrsfluss pilotiert werden, oder auf offener See unbeeindruckt durch die Landschaft schippern.
All das kann sie ganz prächtig, sobald man erst einmal den Hafen verlassen hat, ein paar Gänge unter Einsatz des ganzen Beines mit der Ferse in das massive Schaltpedal getreten hat, läuft sie unbeeindruckt von der Umwelt richtung Horizont. Die Sache mit der Schaltwippe ist – wie übrigens auch an der Guzzi California – für den Novizen auch eine Art Initiationsritual, Träger empfindliche Schuhwerks werdens aber schnell zu schätzen lernen, endlich werden die Spitzen der Rauhledernen vom Schalten nicht mehr unansehlich abgewetzt.
Auf den schnürlgeraden Landstrassen drüben jenseits der Donau, wo man das Gefühl nicht los wird, die nächste Staatsgrenze wäre jene der Ukraine, findet man sich schnell in der Sechsten, ein kleines grünes Licht am ausladenden, an eine Radiokommode erinnernden Armaturenbrett signalisiert Frei Fahrt, und man möchte eigentlich weiterfahren, bis der Benzinvorrat zur Neige geht. Entspannte Sitzposition und beruhigendes Triebwerkstuckern lassen erst gar keinen Gedanken an Hektik aufkommen, nichts desto Trotz macht man, ohne die Geschwindigkeit wirklich wahrzunehmen, mächtig Fahrt, Reisetempi auch jenseits des Autobahnlimits sind keine Hexerei, nur die Sozia bemängelt, dass sie nicht so komfortabel transportiert wird wie auf dem Kaminsofa der Electra Glide.
Doch die Street Glide kann auch Kurven, schwungvoll angegangene langgezogene Kombinationen sowieso, aber auch im mittelengenen Geläuf weiss sie Spass zu machen. Dabei kann es nicht schaden, den Strassenverlauf zu kennen, denn unbedachte Kurskorrekturen im Kurvenradius sind ihre Sache nicht. Wenn der anbitionierte Kapitän jedoch weiss, was er tut, und das rechtzeitig, lässt sich das Dickschiff durchaus lustvoll durch den Wienerwald werfen, so mancher weniger erfahrene Sportler wundert sich dann über den dicken Dotter im Rückspiegel, der nicht kleiner werden will. Derartige Nutzung fällt natürlich fast schon unter die Rubrik `Unfug´, aber es ist gut zu wissen, das man es durchaus auch mal eilig haben kann, wenn man mit der Street Glide unterwegs ist.
Weil im Normalbetrieb sitzt man einfach lässig im Sattel, lässt sich möglichst nicht anmerken, dass das Bewegen so eines Motorrades durchaus auch anstrengend sein kann, und nur etwas für erfahrene Fahrer, das denkt sich das Publikum aber wohl ohnehin. Und weil man zwar auffallen will, aber eben nicht unangenehm, macht einen dieses Motorrad, ganz ohne Aufpreis, zu einem bessern Menschen. Wirklich funktionieren tut dieses Extra aber nur, wenn Sie die Gelbe gewählt haben!
Ein Gedanke zu “gentlemangleiter”