bis an die grenze

Letzter Tag im endlosen Spielfeld. Wir haben uns noch immer nicht durchringen können, wie unsere Expertenrunde schon um neun Uhr aufzubrechen, aber immerhin steht heute die ganze Juniorenrunde `habt acht´ vor dem Hotel, um den Aufbruch der Könner zu bewundern. Allesammt professionell ausgestattet, inclusive Nackenschutz und Camelbag, das ist ein Rucksack in dem ein Plastiksackerl steckt, auf dass man in der Wüste nicht unversehens verdursten möge. Wir haben schon auch festgestellt, dass man ein Bisserl ins Schwitzen kommt, haben es aber bei den vorherrschenden Temperaturen um die zwanzig Grad zur Mittagszeit immer noch problemlos in eines der netten Beduinencafés geschafft, ohne von Fata Morganas gefoppt zu werden. Aber wahrscheinlich sind die Pros dann halt doch ärger unterwegs, schneller und auf härteren Routen, tiefer Sand und hohe Dünen.
Während wir also ganz stressfrei Frühstücken tischt Klaus den heutigen Plan auf, zweihundertsechzig Kilometer, gemütliche Runde, hinüber zur algerischen Grenze, Aufbruch um zehn, wie immer. Schon fein, wenn man nur ganze zweihundert Meter über den Asphalt muss, dann nur noch durch die , erschütternd zugemüllten, die Oase beschützenden Vordünen. Heute geht´s übrigens nicht gleich in die totale Sandkiste sondern über spassige Feldwege durch Plantagen und Felder, schön grün verglichen mit den Pisten weiter im Südwesten, aber natürlich spärlich bewachsen wenn man´s mit der Küste vergleichen würde.

Es liegt in der Natur der Sache, dass Felder oft rechteckig angelegt sind, dementsprechend abwechslungsreich geht´s zur Sache. Für unsere Neulinge vielleicht fast schon zu Abwechslungsreich, die kennen ja bisher nur das Angasen weiten Geläuf, radikale 90 grädige Richtungsänderungen hatten wir noch nicht viel im Programm. Während man draussen im freien Geläuf eigentlich nur ungefähr die Richtung halten und den paar Hindernissen ausweichen muss, erfordert so ein Wegerl schon etwas Präzision, erst recht, wenn links und rechts Palmwedelzäune, Dornenbüsche oder diese wunderschönen aber extrem stacheligen Kaktusfeigenpflanzen Spalier stehen. Und nicht immer ist der Untergrund schön festgefahren, oft muss man sich für eine der beiden tiefen fahrspuren entscheiden, welche Traktoren oder Toyotas gefräst haben, andere mehrspurige Kraftfahrzeuge verirren sich sonst selten hierher. Aber bald haben alle den Rythnus gefunden, Kurve anbremsen, runterschalten, ganz nach innen zielen, ein bisserl mit der Kupplung spielen, dass amn schön ums Eck findet, und dann: zweite, dritte, vierte, vroom, bis zum nächsten Eck, herrlich!
Die Plantagen dienen aber nicht nur dem Nahrungsmittelanbau, mindestens genau so wichtig ist ihre Rolle als Bastion gegen die Wüste, die sich gierig ganz nah an sie heranfrisst. Irgendwann wechseln wir die Seite, statt auf der gebändigten Seite der letzten Palmwedel-Kaktus-Strauch Barrikade sind wir plötzlich drüben, in der Wildniss, fahren noch ein Stück durch den tiefen anstürmenden Sand neben der Abgrenzung, was rasch zu einer Art Schrägfahrt ausartet, als würde man einen Steilhang queren wollen. dann doch lieber gleich mitten durch die Dünen, da kann man wenigstens nicht so leicht wo dagegen fahren. Nachdem die Wüste scheinbar all die schöne Feuchtigkeit der Regenschauer der letzten Tage austranspiriert hat sinkt man deutlich mehr ein, tut sich schwerer, kommt mehr ins Schwitzen. Ausserdem sind wir auf einer Route gelandet, die von zahllosen Motorradspuren zerfurcht und somit noch ein wenig mühsamer zu bewältigen ist. Auch Klaus findet das zu mühsam, „schau ma, dass ma aus dem scheissdünenfeld aussikemman“, er hat den Tagesplan im Auge, und der ist wohl genau kalkuliert.
Also zielen wir auf eine Oase am Horizont, die dann auch langsam näher kommt, mitten drin wartet aber noch ein brettlebenes Chott, auf dem sich die Burschen austoben dürfen, schliesslich brauch ich ja ein Photo, wo man erstens alle Drei und zweitens die Geschwindigkeit schön sieht. Es dauert seine Zeit, bis sie sich zu einer Formation zusammen gefunden haben, und noch länger, um sie wieder vom Geschwindigkeitsrausch runter zu kriegen.

Zu unserer Orientierungsoase gehörte auch ein kleines Dorf, das, im Gegensatz zu vergleichbaren Ansiedlungen in Österreich, über reichlich junge Bevölkerung verfügte, und allesamt waren sichtlich froh über Besuch, selbst, oder sogar besonders, wenn er auf lauten Zweirädern durch die Gassen knatterte. Unmissverständlich forderten sie uns zum `wheelen´ auf, also den Vorderreifen zu schonen, eine Fahrtechnik die hier schon die Sechsjährigen auf ihren Mountainbikes beherrschen, wie sie an der Tankstelle eifrig unter Beweis stellten.

Nachdem wir für die ersten hundertirgendwas Kilometer des Tages jeweils zwischen vier- und fünfeinhalb Liter zu unverschämt günstigen Konditionen nachgetankt hatten – man muss das Reservoir ja jedes Mal füllen, wenn man einer Tankstelle ansichtig wird, wer weiss, wann die nächste kommt, und ob man sie auch tatsächlich findet – verbrannten wir den Treibstoff gleich danach wieder und diesmal recht effektiv. Klaus hatte uns angekündigt, er würde uns auf die Teststrecke des KTM Ralleyteams führen, eine ebene grössten Teils gerade Vollgasstrecke entlang des Chott el-Jerid, auf der die Rennmotoren ihre Standfestigkeit beweisen müssen.
Man möchte sich gar nicht vorstellen, wie schnell Profis die Werksgeräte über die Piste prügeln, es reicht schon zu versuchen, Klaus auf der Vollgasstrecke nicht aus den Augen zu verlieren. Zwei festgefahrene Autoreifenspuren ziehen sich durch die Gegend, eingerahmt und getrennt von Streifen niesrigen, lockerem Flugsand. Vorne verschärft Kini das Tempo, auch die Burschen drehen am Gasgriff, Gabi hält locker mit. Und mich juckt´s, nun will ich mich auch mal austoben, ich muss jetzt nach vorne. Die Geschwindigkeit an sich ist keine Hexerei, allerdings wollen die Überholmanöver mit Bedacht eingeleitet werden, schwer zu sagen, was die Burschen als nächstes machen, ob sie ihre Spur halten können oder plötzlich einen Seitenwechsel einlegen müssen. Also auf der jeweils anderen Fahrspur anpirschen, langsam in den Blickwinkel schieben, und dann Vollgas und vorbei.

Spannend sind immer die Spurwechsel durch das lose Sandhäufchen in der Mitte, idealerweise legt man die in die Beschleunigungsphase nach einer der spärlichen minimalen Richtungskorrekturen der Piste. Als besonders hartnäckiger Gegner erweist sich wieder mal unser italienischer Rennradler, der verbissen versucht seine zweite Position zu halten. Vergeblich…
Hinterlistig wie die Sahara nun mal ist wird aus der Vollgasstrecke wieder eine Dünenpiste, erst unmerklich, dann immer eindeutiger, zwingt einen schliesslich ganz eindringlich, den Speed zu drosseln, wie beim Rodeo erledigen wir die ersten Engstellen. Die sind fieserweise auch noch tief verspurt, doch guter Rat ist heute kostenlos, immer ordentlich am Gas bleiben, hat Klaus gesagt, und ich halte mich ganz sklavisch an den Rat des Fachmanns. Das funktioniert auch ganz blendend, allerdings bedeutet das ganz nebenbei teilweisen Kontrollverlust, nicht immer halten die Stiefel den Kontakt mit den Fussrastern aufrecht, irgendwann knallt mein Oberschenkel gegen das Lenkerende. Wie intensiv der Kontakt war werde ich erst am Abend wirklich verstehen, wenn ich wegen meiner Unfähigkeit die Stiegen zu erklimmen ohne den Lift es nicht einmal in die Bar im ersten Stock schaffen werde.
Man kann sich also auch ordentlich weh tun, ganz ohne das Motorrad ungewollt zu verlassen, viel effektiver ist allerdings der gute alte unkontrolierte Abstieg, die Brezen, der Sturz. Alle bekommen heute ihre Chance, verlieren das Gleichgewicht, versenken das Vorderrad im tiefen Grund und köpfeln über den Lenker, oder verfransen sich einfach in fremden Spuren. Anstrengend…
Nach fünf Stunden im Gelände beginnt auch die Erschöpfung ihr Tribut zu fordern, insbesonders unsere Dame kommt auf ihre Rechnung, hat sie doch mit dem grössten Misverhältnis von Maschinenmasse und eigener Körpergrösse zu kämpfen. Brav hält auch sie sich an Klaus´ Anweisungen, hält heldenhaft den Gasgriff offen, aber die böse KTM wehrt sich nach Kräften, bockt und wirft sie mehrmals spektakulär und im hohen Bogen in die Dünen. Was unweigerlich zu weiterem Kraftverlust führt, auch wenn ich jedes Mal eine der jungen Sportskanonen zur Hilfestellung vergattere, mir fehlt schon längst die nötige Kraft, die oberösterreichische Höllenmaschine wieder aus der Sandkiste zu kletzeln.

Klaus denkt natürlich nicht einen Augenblick daran, das Tempo nachhaltig zu drosseln, zu weit liegen wir hinter unserem, das heisst seinem, Zeitplan zurück. Der Sand war doch tiefer und weicher, als zu erwarten war, und verspurter dazu, wie er irgendwann zwischendurch frustriert zugibt. Also strudeln sich die Nachzügler immer mehr ab, speziell Gabi ist die Erschöpfung anzusehen, immer wieder fällt ihr Motorrad einfach um, vielleicht ist es ja auch schon müde. Ich beschatte sie sicherheitshalber unauffällig, kann mir auch nicht schaden, meine nur noch rudimentär vorhandenen Kräfte zu schonen. Sie versucht natürlich trotzdem den Schnitt zu halten, den Anschluss nicht zu verlieren, den Leithengst nicht zu verärgern. Und so verschärfen wir zwischendurch, wenn das Gelände frei von Fallen scheint, immer wieder das Tempo, bis Gabi sich in einer optimistisch angepeilten Spur verfranst, ihr Motorrad egoistisch die Fahrtrichtung ändert, und das Vorderrad gegen einen massiven Wurzelstock knallt.
Der resultierende Doppelsalto mit halber Schraube hätte es locker in jede Crash Compilation renomierter Sportsendungen geschafft, mir ist jedenfalls kurz der Atem gestockt, ihr erst recht. Zusammengekrümmt unter dem Bike zu liegen gekommen rührt sie sich erst mal gar nicht, nachdem ich den Bock abgeräumt und sie kurzatmig „O.K.?“ gefragt habe nickt sie immerhin kaum merklich, nach ein, zwei Schreckminuten hat sie sich wieder gesammelt und sitzt verdattert neben dem Baumstumpf. Einige Ausrüstungsgegenstände sind nicht mehr dort, wo sie eigentlich hingehören, die Sonnenbrille finden wir erst nach längerer Suche hinten im Helm, war offensichtlich eine wirklich harte Landung.
Diesmal erscheint Klaus tatsächlich bald wieder auf der Bildfläche, wir sind zwar wieder marschbereit, doch er erkennt rasch, was diesmal der Grund unseres Stopps war und spart sich gute Ratschläge. Immerhin kann er vermelden, dass die Strasse „gleich da vorne“ wäre, und dann auch das Dorf Mahrouba an der algerischen Grenze, wo wir unsere Mittagspause geplant haben.
Wobei: Mittag ist längst vorbei, die Sonne nähert sich merklich dem Horizont. In einem rustikalen Café machen wir schliesslich Rast, nehmen dankbar Landjäger-Wurst und Red Bull in Empfang und uns recht wortkarg über die Stärkung her. Myli, der Kameraassistent und seine Chauffeure warten schon seit Stunden, sie kennen das spärliche Angebot des lokalen Supermarktes mittlerweile in- und auswendig, ergo gibt´s zum Desert trockene Kekse und frische Datteln. Dieses Menü versetzt uns immerhin in die Lage, die heimfahrt anzutreten, allerdings nicht querfeldein, ein geordneter Rückzug auf befestigten Strassen ist ob der vorgerückten Stunde eindeutig angeraten. Und was Gabi anlangt wird sie sich in anbetracht ihrer offensichtlichen Hirnerschütterung den Ortskundigen Kraftfahrern anvertrauen, womit wir de facto ein Motorrad zu viel haben.

So wird Mylis Wunsch, auch mal anzugasen in Erfüllung gehen, auch wenn er sich das vielleicht anders vorgestellt hatte. Unter Anfeuerungsrufen der versammelten männlichen Jugend des Ortes knattern wir gen Westen, aufgefädelt wie nie zuvor auf dem rumpeligen Asphaltband mit der Nummer C210 am Südrand des Chott el-Jerid. Meist geht es schnürlgerade dahin, nur ab und an unterbricht eine leichte Biegung die eintönige Streckenführung. Obwohl die kaum als Kurven gelten können, erkennt man doch deutlich, wer von der coolen Motorradgang über Erfahrung verfügt, und wer nicht. Witzig, wie die drei Novizen, die in der Wüste schon wie Experten unterwegs waren, unsicher ihre Richtungsänderungen einleiten. Und als wäre das noch nicht genug, fällt die Temperatur mit sinkender Sonne geradezu ins Bodenlose, was auch nicht gerade zu einer entspannten Sitzhaltung beiträgt, das Zittern überträgt sich sichtbar ins Fahrgestell. Tja, jetzt macht sich meine Routine doch noch bezahlt, ich hab nämlich mein Windjackerl dabei und kann entspannt die atemberaubende Landschaft im Sonnenuntergang geniessen. Kurz nachdem mein Schatten so lang wird, dass er scheinbar über den Horizont reicht, tauchen endlich die ersten Vorboten der Oase von Douz auf.

Epilog: Am Parkplatz angekommen höre ich sofort das Knistern der Motoren der expertengruppe, also sind die auch noch nicht lange hier! Und, siehe da, auch sie waren gezwungen, die Runde auf der Strasse zu Ende zu bringen. Tiefer Sand am Anfang, ein paar unplanmässige Stopps, ein Überschlag auf der High-Speed-Passage. Klingt bekannt? Genau, sie waren schuld an den tiefen Spuren, haben die gleiche Strecke genommen und waren trotzdem nicht viel schneller. was uns das sagt? Dass Wüstenfahren keine Hexerei ist, man braucht nur entweder ein bisserl Erfahrung, was mir geholfen hat, oder sollte ein wenig trainiert sein. Gar nicht auszudenken, wie toll das sein muss, wenn beides zutrifft, wenn das schon unvorbereitet so ein phantastisches Erlebnis ist!

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